16 Jul Die Stammbahn
Die im Jahr 1838 eröffnete Stammbahn war die erste Eisenbahnstrecke Preußens. Sie verband auf kürzestem Weg Berlin mit der 25 Kilometer entfernten preußischen Residenzstadt Potsdam. Aber schon lange fährt hier kein Zug mehr. Während der letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges kam es zu großen Schäden. Eine wichtige Brücke über den Teltowkanal wurde von den Deutschen gesprengt. Nach dem Krieg bauten sowjetische Soldaten das zweite Gleis als Reparationsleistung ab. Als 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde kam es zu weiteren Verkehrseinschränkungen, da die Strecke zum Teil unmittelbar auf der Grenze zwischen DDR und Westberlin verlief. Damit hatte der Streckenabschnitt innerhalb der Stadtgrenze von Berlin keine Bedeutung mehr für den Verkehr. Nach dem Streik der Westberliner Reichsbahnangestellten im Spätsommer 1980 wurde der S-Bahn-Betrieb am 18. September desselben Jahres auf dem noch verbliebenen Streckenabschnitt Zehlendorf–Düppel eingestellt. Seitdem rollen keine Räder mehr über die Schienen der Stammbahn.
Der Bahnhof Zehlendorf der historischen Eisenbahnstrecke gleicht einer Ruine. Die Strecke erobert die Natur zurück. Mancherorts ist der Dschungel undurchdringbar. Die Bahnhöfe Zehlendorf-Süd und Düppel sind verfallen. Hoch oben in den Bäumen hängt ein Protestbanner gegen eine eventuelle Reaktivierung der Stammbahntrasse.
In unmittelbarer Nähe verläuft eine weitere historische Eisenbahnstrecke. Die sogenannte Friedhofsbahn verband Wannsee mit dem über den Bahnhof Stahnsdorf angebundenen Südwestkirchhof Stahnsdorf. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden aufgrund der zunehmenden Platzknappheit im heutigen Berliner Stadtgebiet die Friedhöfe vor die Tore der Stadt verlegt. Die eingleisige Strecke ging im Juni 1913 in Betrieb. Bei Dreilinden, wo die Friedhofsbahn ihren einzigen Zwischenbahnhof hatte, unterquerte sie die nach 1945 demontierte Stammbahn und erreichte kurz danach Stahnsdorf. Aufmerksamen Beobachtern fallen Stacheldrahtreste an Bäumen auf. Die gehörten zu Sperranlagen direkt am Kolonnenweg der DDR-Grenzsoldaten nach dem Bau der Berliner Mauer. Eine Informationstafel weist auf Walter Kittel hin, der hier am 18. Oktober 1965 erschossen wurde. Nachts überwanden Kittel und ein Bekannter den Hinterlandzaun. Kurz vor der eigentlichen Grenze wurden sie von einem Grenzposten mit einem Wachhund entdeckt. Angesichts der ausweglosen Lage leisteten sie keinen Widerstand. Zwischen den Grenzern und den Fluchtwilligen kam es zu einem Streit, bei dem der Begleiter Kittels ins Bein geschossen wurde. Beide suchten im Kfz-Sperrgraben Schutz. Der dazu gekommene Kommandeur des Grenzabschnitts forderte beide auf aus dem Graben zu kommen. Dieser Weisung kamen beide Flüchtlinge nach. Aus einer Entfernung von zehn Metern gab der Kommandeur 30 Schüsse auf Kittel ab. Dabei schrie er: „Ich habe mir geschworen, hier kommt keiner mehr lebend raus.“ Mehrfach im Oberkörper getroffen, ging Kittel zu Boden und verstarb. Der Todesschütze stand 1992 vor dem Bezirksgericht Potsdam, das ihn unter Anwendung des DDR-Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen Totschlages verurteilte. Im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof wurde der Tatvorwurf von Totschlag auf Mord erhöht. Die Richter sahen Merkmale einer Hinrichtung erfüllt. Die Strafe erhöhten die Richter wiederum nach DDR-Strafrecht auf zehn Jahre. Eine strafrechtliche Bewertung fand in der DDR nicht statt.