Faszinierendes Venedig

Faszinierendes Venedig

Selten war ich beim ersten Besuch einer Stadt so überwältigt wie von Venedig. Natürlich hatte man bisher schon viele Bilder und Filme von dieser Lagunenstadt in der Adria gesehen. Aber eine Reise in das UNESCO-Weltkulturerbe hatte sich bisher nie ergeben. In der Regel will ich nie da sein, wo (fast) alle hin wollen.
Um es vorweg zu nehmen. Ich habe eine Stadt kennen gelernt, in der man Geschichte hautnah erlebt, habe kulturelle Schätze links und rechts des Weges gesehen, war von der Architektur und der Baukunst vergangener Generationen beeindruckt. Und das in einer Stadt, die keine Autos und Straßen hat und ein Baum ein ganz seltener Anblick ist. Aber etwas ganz entscheidendes fehlte, entdeckte ich erst nach Stunden, einen Einwohner von Venedig. Lebten 1951 noch 175000 Venezianer in der Inselstadt, sind es heute noch knapp über 50000 Einwohner. Alles, aber auch alles, ist auf den Tourismus ausgerichtet. Wohnungen, selbst kleinste ehemalige Bäcker oder Fleischer, sind zu Touristenherbergen geworden. Hinter den kleinen Schaufenstern stehen die Touristenbetten. Die Altstadtinsel Venedig ist 5,2 Quadratkilometer groß. Das ist ein Zehntel der Fläche des Berliner Stadtbezirkes Lichtenberg. Aber im Unterschied zu meinem Heimatbezirk kommen jährlich über 30 Millionen Touristen nach Venedig. Sie gehört damit zu den meistbesuchten Städten der Welt. „Der Tourismus hat uns kurzfristig reich gemacht, aber tötet uns langfristig“, sagen Venezianer, die sich für den Erhalt der Stadt einsetzen. Viele Häuser sind in einem baulich sehr schlechten Zustand. Sehr oft ist die unterste Etage deshalb nicht mehr bewohnt. Neben dem allgemeinem Anstieg des Wasserspiegels in der Lagune sind vor allem die Riesenkreuzfahrtschiffe Schuld. Wegen dieser schwimmenden Kleinstädte wird die Fahrrinne immer tiefer ausgebaggert. Das unterspült die Hausfundamente. Vier dieser Schiffsriesen laufen Venedig täglich an, entlassen aus ihrem Bauch bis zu 5000 Touristen, die dann für Stunden die Stadt erkunden können. Die großen Schiffsdiesel müssen während der Liegezeit natürlich weiter laufen. Ab 2019 sollen diese Kreuzfahrtschiffe nicht mehr in der Altstadt anlegen dürfen. Vielleicht. Ein Verbot wurde bisher schon mehrmals aufgehoben.
Fotografen aus aller Welt traf ich auf der Accademia-Brücke über dem Canal Grande. Sie ist eine von drei Brücken über den weltbekannten Hauptkanal. Um den Sonnenaufgang zu fotografieren, ist frühes Aufstehen angesagt. Nicht wegen der Sonne, die hat ihren festen Fahrplan. Aber auf der Brücke standen die Fotostative dicht an dicht. Ein einmaliges Farbenspiel bot sich über der Basilica Santa Maria della Salute an der Mündung des Canal Grande. Auch in der Nacht gibt es auf dem Kanal keine Verkehrsruhe. Für kleine und große Boote, wie die Vaporettis, die Wasserbusse, gibt es keine Nachtruhe. Alles, was in der Stadt transportiert werden muss, kann nur den Weg über das Wasser nehmen, Egal ob Waren- oder Bautransporte, Polizei, Feuerwehr, Notarzt oder Bestatter, alle kommen mit dem Boot. Auch die Arbeitszeit der Gondolieres beginnt sehr früh am Tag und endet erst spät in der Nacht. Bewundernswert, wie sie die elf Meter langen kunstvoll geschmückten Gondeln auch durch die engsten Kanäle steuern. Wenn man in Venedig einen Weg von 500 Metern zurück legen will, müssen die Treppen gefühlter 20 Brücken überwunden werden. Für Boten mit einem Handkarren nicht so einfach. Der Markusplatz mit dem Markusdom ist in wenigen Nachtstunden menschenleer. Tags schieben sich die Menschen wie bei einer Demonstration über den Platz. An der Bootswerft San Trovaso, sie stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert, kann der aufmerksame Beobachter zuschauen, wie Boote repariert werden oder neue Gondeln entstehen. Für einen Fotografen sehr interessant sind die kleinen Kanäle und Gassen, in denen es keine Geschäfte gibt und die etwas abseits der Hauptwege der Touristen liegen. Ein ganz seltener Ort wo man auf „richtige“ Einwohner Venedigs trifft ist der große Fisch- und Gemüsemarkt, gleich neben der weltbekannten Rialtobrücke. Die Preise für die superfrischen Waren haben sich dem Touristenniveau angepasst, zum Leidwesen der „Einheimischen“. Auch wenn Touristen in großer Eile sind, kommen sie an einem der unzähligen Souvenirläden vorbei wird erst mal gestoppt. Ein Souvenir geht noch. Eine kleine Brücke, die Seufzerbrücke, verbindet das ehemalige Staatsgefängnis mit dem Dogenpalast über einem kleinen Kanal. So mancher Verurteilte wird auf dem Weg ins Gefängnis hier beim Überqueren der Brücke nochmal geseufzt haben. Unbedingt sehenswert auch das vergoldete Chorgestühl der Kirche Santa Maria Gloriosa del Frari, in der auch zwei Hauptwerke des Malers Tizian zu bewundern sind. Nur 40 Minuten dauert es mit dem Wasserbus auf die Nachbarinsel Burano. Hier lebten und leben viele Fischer. Damals hatten sie noch keine Hausnummern. Um die Häuser für Besucher leichter auffindbar zu machen, haben die Fischer sie einfach unterschiedlich farbig angestrichen. Am letzten Abend saß ich nochmal am Ufer der Laguneninsel bei einer guten Flasche Wein, als wieder zwei Kreuzfahrtschiffe Venedig verließen. Eine Kleinstadt schwamm da an mir vorbei, über 300 Meter lang und höher wie die Paläste und Türme der Stadt. Ich stellte mir so vor, jetzt in einem kleinen Dorf in einem Naturschutzgebiet in der Lausitz zu sitzen und plötzlich fährt ein 300 Meter langer Abraumbagger aus einem Braunkohletagebau so dicht an meiner Flasche Wein vorbei.
Ich bin bestimmt nicht zum letzten Mal in Venedig gewesen. Ganz bestimmt nicht. Die Stadt ist ein unbeschreibliches Erlebnis, gerade für einen der fotografiert. Nur wie lange noch? Da habe ich ernste Bedenken.
Einen Tag nach unserer Abreise begann der lang anhaltende Starkregen und der Sturm. Der Markusplatz stand wie über 70 Prozent der Altstadtinsel unter Wasser. Auch im Markusdom stand das Wasser fast einen Meter hoch. Baufachleute sagten, jeder Tag, an dem das Wasser in der Kirche steht, bedeuten 20 Jahre weniger Lebenszeit des Bauwerkes.